Brandenburgbewußtsein – 11. Juni for Feiertag! (irgendwie muß man ja anfangen)

Angestoßen um die Diskussion zu Überlegungen der Brandenburger Landesregierung in Brandenburg den 8. Mai zu einem Brandenburgeigenen Feier-/Gedenktag zu erklärenn hier ein Gegenentwurf:

Wenn Brandenburg sich einen eigenen Feiertag gönnen möchte, dann vielleicht einen urbrandenburgischen und keinen der die Folgen gesamtdeutschen nationalistischen Wahns behandelt. In weiten Teilen bestimmen die dunklen Flecken, die Schattenseiten der Geschichte die deutsche Identität.

Ein solcher urbrandenburgischer Feiertag könnte der 11. Juni sein, in Gedenken an die Gründung der Mark Brandenburg im Jahre 1157.

Ich wundere mich immer wieder, wie sehr national fokussiert wir doch immer noch sind, obwohl wir wissen, was ein solches Denken Mitteleuropa eingebracht hat. Ein wenig mehr Regionalität und Regionalbewußtsein können da nicht schaden; auch im Sinne der Vorbeugung.

Dazu passend, ein Zitat von der Webseite des Deutschlandfunks aus einem Beitrag der auch unter der Überschrift „Art der Geschichtsschreibung im Wandel der Zeit“ stehen könnte:

„Weil Geschichtswissenschaft die längste Zeit, bis Mitte des 20. Jahrhunderts definitiv, eine sehr affirmative Geschichtswissenschaft gewesen ist. Eine Geschichtswissenschaft, die vor allen Dingen dazu diente, den Nationalstaat zu legitimieren. Erst in den 70er-, 80er-Jahren, wo eine kritische Geschichtswissenschaft sich Bahn brach, gab es auch eine Aufmerksamkeit für Orte, die nicht zur Legitimation des Nationalstaates dienen, und das ironische an dieser Entwicklung ist, dass wir unsere Identität heute vor allen Dingen aus diesen gebrochenen Orten beziehen. Früher haben diese gebrochenen Orte die Identität eher gestört und heute haben wir eher eine kritische Identität, die genau diese bösen Orte, diese Schattenorte braucht und daraus ihr Selbstverständnis bezieht.“

Quelle: http://www.deutschlandfunk.de/tagung…icle_id=312115

Gegen einen 8. Mai als Gedenktag ist an sich nichts einzuwenden, diesen aber dann bundesweit – obwohl ich hier gern den 9. November in Erinnerung rufen möchte, welcher für die nationale Geschichte sowohl Gedenk- als auch Feiertag wäre. Scham und Schande, Glück und Freude.

Die Provinz Brandenburg im entmachteten Freistaat Preußen hatte am Ausbruch und am Ende des Krieges keinen gesondert zu betrachtenden Anteil. Dies ist eine gesamtdeutsche Bürde.

Dennoch finde ich den Ansatz einen brandenburgeigenen Gedenk- und Feiertag einzuführen sehr interessant und wichtig, aber eben zu einem Brandenburger Thema, nach Möglichkeit identitätsfördernd.

Ein brandenburgeigener Feiertag hat nach meinem Dafürhalten brandenburgexklusiv zu sein. Er sollte sich um ein brandenburgeigenes Thema drehen und auch geeignet sein die regionale Identifikation zufördern und somit Identität entwickeln helfen. Der 11. Juni bietet sich geradezu an, diese Aufgabe zu übernehmen.
(Der wahre Brandenburger kann – wenn er Deutschland nicht feiern möchte – auch schon heute am 3. Oktober Brandenburg feiern. Am 3. Oktober 1157 benutzte Albrecht der Bär zum ersten mal selbst den Titel Markgraf von Brandenburg, die Jahre zuvor hat er sich noch ein wenig geziert )

Es gibt alle zwei Jahre den Brandenburgtag, man könnte damit beginnen, diesen auf den 11. Juni zu legen; fix. Beim letzten Brandenburgtag hat es ganze 2 oder 3 Brandenburgflaggen auf dem Festgelände gegeben, dies sogar nur auf Initiative Einzelner und nicht als Bestandteil der Organisation. Traurig!
Ferner meine ich, daß Europa vor einem Umbruch steht. Nachfolgendes klingt aus heutiger Sicht vielleicht noch ein bisschen spinnert, aber ich wage mal eine Prognose für die nächsten 50 Jahre (friedliche Beilegung europäischer Krisen vorausgesetzt).

Ich denke, daß sich EU-Europa weiterentwickeln wird. Zugleich hoffe ich, daß es nicht in Richtung eines zentralistisch geführten Superstaats geht. An den heutigen Krisen in der EU kann man ziemlich genau beobachten, wie sehr nationales Denken immer noch geeignet ist Stimmung zu erzeugen und Menschen zu instrumentalisieren. Mein Wunsch wäre es, daß wir erkennen, daß der Nationalismus ausgedient hat. Wenn der Franzose weiter auf seinem Frankreich besteht und der Deutsche auf seinem Deutschland und beide meinen, daß hübsch verpackte Konzerninteressen das französische oder deutsche „Interesse“ abbilden würden, ist das letztendlich auch nur eine weitere, moderne Form vom alten Nationalismus.

Es gibt seit einigen Jahren, quer durch Europa ein Erstarken regionaler/regionalistischer Bewegungen. Die Schotten scheiterten bei einem Volksentscheid nur knapp daran, sich von Großbritannien lösen zu können. Die Katalanen, haben ähnliches vor, einige Bayern auch. Ebenso gibt es regionalistische Bestrebungen nach mehr Autonomie oder Unabhängigkeit in der Bretagne, der Normandie, in Okzitanien (im Prinzip der komplette Süden des heutigen Frankreichs), in  Venetien, der Lombardei, Sizilien und in Süd-Tirol sowieso – eigentlich in ganz Europa. Auch hier in Brandenburg (und in Sachsen) gibt es mit der Lausitzer Allianz eine Partei, die zwar noch nicht landesweit in Erscheinung getreten ist, ihren Fokus aber streng auf die Lausitz und die sorbisch/wendische Tradition legt. Mit dem Südschleswigschen Wählerverband sitzen Regionalisten in einer Landesregierung. In ganz Europa gibt es Regionalparteien die sich für ein Europa der Regionen einsetzen. Parteien denen es auf Föderalismus, Subsidiarität, Selbstbestimmung, Wahrung der regionalen Vielfalt in Sprache und Kultur sowie auf mehr Bürgernähe und Direktdemokratie unter einem europäischen Dach ankommt.

Ich halte dieses Europa der Regionen, gern als Republik, für die vorzuziehende Alternative gegenüber dem Europäischen Superstaat, der sich unter deutscher Führung zu formieren droht und auf seinem Weg aber jede Menge sprengstoffgeladenen Momente bereithalten würde.

Wenn man von rechts und von links weiter auf die nationalen Schiene beharrt, die einen, um sie zu feiern, die anderen, um sie zu verdammen, ist eine Abkehr vom nationalen Denken als Grundlage des Handelns letztendlich unwahrscheinlich. Man sollte vielleicht anfangen so ein Thema nicht deutschlandzentriert, sondern europäisch zu sehen.

Weit ausgeholt für ein Brandenburgthema, aber ebenso, wie es ein Fehler ist, anzunehmen, daß man ein Deutschlandthema heute noch isoliert betrachten kann, wäre es auch ein Fehler, ein Regionalthema nur isoliert zu betrachten.

Eine Vorreiterrolle hätte Brandenburg, wenn es sich mit seinem EIGENEN Feiertag von der nationalen Schiene verabschiedet und seine Bürger anhält sich als Brandenburger in Europa zu fühlen.

Ich denke auch aktuelle Diskussionen würden um eine angenehme Perspektive erweitert, wenn uns Brandenburgern unsere Historie wirklich bewußt wäre und wir uns dieser auch ein wenig verpflichtet fühlten.

In unserem schönen Land gibt es zuhauf Ortsnamen die auf „-ow“, „-in“ oder „-itz“ enden; es gibt Orte denen ein „Klein“ vorangestellt ist. Alles Hinweise auf einen slawischen Ursprung der Siedlung.

Ja, während der (früh)mittelalterlichen Ostsiedlung bekämmpften sich die Eliten, die einfache Bevölkerung vermischte sich letztlich aber.

Nationalisierende Geschichtsschreibung reduziert den Kampf auf „Deutsche gegen Slawen“; früher, um eine Sieg zu feiern und den nationalen Gründungsmythos zu untermauern, heute um das Ganze einfach nur zu verdammen. Beide Seiten unterschlagen dabei aber, daß z.B. auch polnische Fürsten gegen die hier siedelnden Slawen vorgingen. Es war eben kein Kampf „deutsch“ gegen „slawisch“ sondern „christlich“ gegen „heidnisch“.

Und dennoch, auch unter den Eliten gab es friedliche Verbindungen. So wurde die Gründung der Mark – so, wie sie von statten ging – erst möglich weil ein slawischer, aber schon christlicher Fürst, Pribislaw-Heinrich, mit Sitz auf der Brandenburg, den Askanier Albrecht von Ballenstedt als Erben einsetzte. Zuvor machte dieser Pribislaw-Heinrich dem Sohn Albrechts, der spätere Markgraf Otto I., die Zauche (liegt im heutigen Landkreis Potsdam Mittelmark) zum Taufgeschenk.

Seitdem war Brandenburg das, was man in der Moderne ein Einwanderungsland nennen könnte, in dem das vorherrschte was man heutzutage als Integrationskultur definiert – hier gab es schon „multikulti“, bevor das Wort dafür kreiert wurde – immer aber unter einem belastbaren Wertekanon (das scheint mir heute zu fehlen).  Dies war so in der Mark Brandenburg und später auch in Preußen, bis, ja bis es später auf einmal wichtig wurde vor allem „deutsch“ zu sein. Damit fingen die Probleme an.

Der ständige Zustrom von Menschen die Zuflucht oder nur ein besseres Leben suchten war prägend für unseren Landstrich. Wir sind – so meine ich – gerade wegen unserer Entstehungsgeschichte und der multikulturellen Ausrichtung bis ins 19. Jh hinein eigentlich weniger „deutsch“ als viele andere deutsche Länder; in jedem Falle weniger als das so mancher wahr haben möchte.  Wir sind eine herrliche Promenadenmischung!

Unser Landstrich könnte auch als Brücke begriffen werden zwischen Ost und West. Es gibt in der Geschichtswissenschaft den Begriff „Germania Slavica“ es bezeichnet neben anderem auch unsere Gegend und grenzt unsere „Ecke“ vom sonst römisch geprägten Rest der deutschen Länder ab. Zu Recht, wie ich finde. Es gibt da bis heute klar erkennbare Mentalitätsunterschiede, die nicht zwingend nur mit 40 Jahren DDR zu erklären sein müssen.

Warum „nicht Deutschsein“ ein Makel sein soll, erschließt sich mir nicht. Geboren wurde dieser Makel aber wohl im 19. Jh, in der Zeit der in ganz Europa aufkommenden Nationalbewegungen. Es gibt eine interessante Studienarbeit mit dem Titel „Polen in Preußen – Zur preußischen Polenpolitik im 19. Jahrhundert„, die diese Thema berührt. Darin wird u.a. auch die Erhebung der Daten für den preußischen Zensus beschrieben. Interessant ist der Wandel einzelner Fragestellungen. Am Anfang wurde lediglich nach den Sprachen, die man sprach gefragt (Zweisprachigkeit war in weiten Teilen des frühen Brandenburgs und später auch in Preußens usus). Irgendwann wurde explizit gefragt, ob man „auch Deutsch“ sprach. Am Ende wollte man wissen, ob  „Deutsch“ die Muttersprache ist, die anderen Sprachen waren nachrangig.

Alles Nichtdeutsche wurde mehr und mehr ein Makel. Auch hier in Brandenburg, aber doch erst ziemlich spät, im 19. Jh..

Das Ende des Liedes ist, daß heute Neonazis mit Nachnamen, die womöglich auf „–itz“ und „–ow“ oder „-owski“ enden, Jagd auf Sorben machen, weil Sie meinen die „deutsche Sache“ verteidigen zu müssen.

Mit ein wenig Geschichtswissen würden diese vermeintlich reindeutschen Arier vielleicht aber wissen, daß sie die Eindringlinge und Fremdkörper sind, die hier in einem Gebiet ihr Unwesen treiben, das aus einer Vermischung von Slawen und Germanen und steter Einwanderung entstand. Sie würden vielleicht auch dahinter kommen, daß – wenn sie selbst waschechte Brandenburger sind – sie ebenso eine Promenadenmischung sind. Damit die sich aber so richtig bekloppt fühlen können, müßten auch alle anderen Brandenburger ein wenig mehr über ihre Heimatgeschichte wissen.

Mit Kenntnis des historischen Hintergrunds wäre den Nazispackos vielleicht bewußt, was es mit der Besiedelung der späteren Mark Brandenburg auf sich hatte, daß die ersten Brandenburger eine Mischung aus frühmittelaterlichen Slawen und fühmittlealterlichen Sachsen waren (nicht die Sachsen aus dem Süden, damals lag Sachsen noch im Westen). Daß wir Brandenburger eine – ich wiederhole es gern – bunte Promenadenmischung sind und auch über die Jahrhunderte blieben und sie würden vielleicht wissen, daß auf dem heute Brandenburger Gebiet der ehemaligen Mark Lausitz der letzte sichtbare Beweis von etwas lebt, das so seinerzeit in der gesamten späteren Mark Brandenburg anzutreffen war und der uns Brandenburger Hinweis auf unsere Frühgeschichte gibt. Sie würden wissen, daß nicht „unsere Vorfahren“ hier auf Slawen trafen, sondern daß Slawen und Germanen hier zu den Vorfahren waschechter Brandenburger wurden.

Wenn wir uns also auf den Weg in ein neues Europa machen möchten, so gehört dazu nicht nur ein europäisches Bewußtsein, sondern eben auch ein Regionalbewußtsein. Wir müssen regionaler werden, um europäischer werden zu können. Und da man irgendwo anfangen muß, schlage ich vor den 11. Juni in Brandenburg zum Feiertag zu erheben.

Literaturempfehlungen zum Thema:
Wie die Mark entstand: 850 Jahre Mark Brandenburg (erhältlich z.B. im Landesarchäologischen Museum Brandenburg)

Der Wandel um 1000

Transformationen und Umbrüche des 12./13. Jh.

 

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