Quo Vadis Europa?

Es rumort in Europa! Eine gewisse Unzufriedenheit mit der Entwicklung unseres Kontinents ist allerorten anzutreffen. Leider scheint die Mehrheit der EU-Kritiker, die sich durch ihr handeln dann oft doch nur als einfache EU-Gegner erweisen, nur zwei Wege für Europa zu kennen. Einen, den sie ablehnen und einen von dem sie glauben, er sei die Lösung aller Probleme.

Der Weg  der abgelehnt wird, ist der Weg in einen europäischen Zentralstaat. Diesen sieht man gerade im Entstehen begriffen. Der andere Weg ist die Vision eines Europas der Vaterländer oder Nationen. Diese für mich recht unappetitliche Vision bedeutete ein zurück in die Strukturen, die zunächst zu den Katastrophen des 20. Jahrhunderts führten und anschließend, als man sich besann, zur heutigen EU, die ja nun wieder Grund für diese EU-Kritiker/Gegner ist, auf „Start“ zurückkehren zu wollen. Dabei gibt es zwischen der Zentralisierung Europas und der Renationalisierung eine Menge Raum für andere Konzepte.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors, möchte ich heute einen Artikel zu der mir sympathischsten europäischen Zukunftsvision wiedergeben. Der Vision eines Europas der Regionen. Für alle die zwar EU-kritisch, aber keine EU-Gegner sind!

Der Artikel erschien erstmals am 14. September 2016 auf diepresse.com und hat bis heute nichts an Aktualität, Dringlichkeit und Berücksichtigungswürdigkeit verloren.

Das Europa des Winston Churchill

Der britische Ausnahmepolitiker skizzierte vor 70 Jahren ein Europa, das von Regionen zusammengehalten wird.

 (Die Presse)

Über die Person Winston Churchill kann man durchaus streiten, unbestreitbar aber sind sein politisches Gespür und sein spätes, aber eindeutiges Bekenntnis zu einem vereinten Europa.

Anfang nächster Woche jährt sich seine berühmte Europa-Rede zum siebzigsten Mal. Am 19. September 1946, ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, hielt Churchill seine vielbeachtete Rede an der Universität Zürich. Er rief zum Aufbau eines vereinten Europas auf. Unter anderem sagte er: „Wir müssen die europäische Völkerfamilie in einer regionalen Organisation neu zusammenfassen, die man vielleicht die Vereinigten Staaten von Europa nennen könnte.“

Dieses berühmte Zitat wird zwar regelmäßig wiedergegeben, selten aber auf den genauen Wortlaut geachtet. Churchill spricht nicht von einer losen Vereinigung von Nationalstaaten, wie sie die EU heute ist. Er bezieht sich auf regionale Strukturen und daher die Regionen Europas als Einheiten – im Sinne eines Vereinten Europas der Regionen. Churchill erkannte, dass die auf Vorurteilen und Feindbildern aufgebauten ethnischen Nationalstaaten einer friedlichen und kooperativen Entwicklung Europas im Wege stehen.

Die Rede hielt Churchill nicht zufällig in der Schweiz. Er und der Begründer der Paneuropa-Bewegung, Graf Richard Coudenhove-Kalergi, erachteten den seit Jahrhunderten erfolgreich zusammenhaltenden Vielvölkerstaat Schweiz stets als Vorbild für ein zukünftiges vereintes Europa.

 

Erfolgsstory Schweiz

Die Basis der Erfolgsstory Schweiz ist ihre politische Gliederung. Im Gegensatz zur EU, Belgien oder den bereits zerfallenen Vielvölkerstaaten Jugoslawien und der Tschechoslowakei, ist die Eidgenossenschaft nicht ethnisch-national, sondern regional gegliedert. Die politischen Einheiten sind weitgehend autonome Kleinregionen (Kantone), viele von ihnen mehrsprachig und multikonfessionell. Diese basisdemokratische politische Struktur förderte die Entstehung stark ausgeprägter regionaler und überregionaler Identitäten, die alle Volks- und Religionsgruppen gleichermaßen einschliessen.

 

Aufwertung der Regionen

Dadurch werden gröbere ethnische und konfessionelle Konflikte vermieden. Die Mischung aus politisch-gesellschaftlicher Stabilität und ausgeprägter lokaler und regionaler Selbstverwaltung ermöglichten zudem den Aufbau bedürfnisgerechter wirtschaftlicher Strukturen, die in anderen Teilen Europas meist fehlen.

In diesem Sinne braucht auch Europa mittelfristig eine regionale Gliederung. Ein solches Europa der Regionen wird zwar gern in Festtagsreden gefordert, existiert aber nicht auf institutioneller Ebene. Das muss sich ändern. Eine ohnehin längst überfällige Reform der EU sollte daher nicht nur die Entrümpelung der EU-Bürokratie und eine Stärkung von EU-Kompetenzen in Bereichen wie der Währungspolitik, der Migration, dem Grenzschutz, der Verteidigung und der Außenpolitik beinhalten. Es sollten vor allem auch die Kompetenzen von Gemeinden und Regionen auf subsidiärer Grundlage nach Schweizer Vorbild europaweit festgelegt werden.

Insbesondere in zentralistischen Nationalstaaten wie Frankreich, Polen, Rumänien, Tschechien, Ungarn, der Slowakei, Slowenien, Kroatien und Griechenland, aber auch in semi-föderalen Staaten wie Deutschland oder Österreich würde eine solche Aufwertung der Regionen und Kommunen nicht nur den Nationalismus schwächen, sondern neue gesellschaftliche und wirtschaftliche Impulse geben. Es wäre die einzig richtige Antwort auf den Brexit und Anti-EU-Populismus der heutigen Zeit.

Peter Jósika ist ein in der Schweiz lebender österreichischer Manager, Autor, Historiker und Politikwissenschaftler.

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