Wie groß ist groß?

Heute morgen war im Radio ein Kommentar zu hören, in dem eine Journalistin verschiedene Maßnahmen anregte, um das Vertrauen in die Demokratie beim Wähler wieder zu bestärken. Neben recht überlegenswerten Vorschlägen, wie zum Beispiel ein Livestreaming der Sitzungen der Ausschüsse, kam auch wieder der hyperpopulistische Vorschlag zu überlegen, den Bundestag zu verkleinern.
Warum man der Meinung sein kann, daß der Bundestag – auch mit so vielen Abgeordneten wie nie -überhaupt nicht groß ist, soll hier kurz skizziert werden.

In absoluter Zahl mag er der größte Bundestag in der Geschichte der Bundesrepublik sein. In Relation zu dem, wofür er da ist, ist er eigentlich fast noch deutlich zu klein….

Die gesamte Bundesrepublik hat – ich runde mal ab – 82 Mio Einwohner; macht also 1 Abgeordneter auf 115.655 Einwohner.

Brandenburg entsendet 25 Abgeordnete. Bei 2,5 Mio Brandenburgern macht das 1 Abgeordneter auf 100.000 Brandenburger. In unserem Landtag kommen auf 1 Abgeordneten 28.409 Einwohner – er ist also riesig im Vergleich zum BT aber keinesfalls auch nur einen Hauch zu groß.

Zum Vergleich:

In Frankreich (577 Abgeordnete) kommen auf 1 Abgeordneten 116.118 Einwohner – Das Parlament ist dort also nur geringfügig „kleiner“ als bei uns

In den Niederlanden („150 Abgeordnete – ui wie herrlich klein“) kommen auf 1 Abgeordneten 113.333 Einwohner – es ist also geringfügig größer als der BT

Schweden (349 Abgeordnete – und, ganz nebenbei, ein Land mit recht zufriedenen Einwohnern und gleichzeitig mit einer der höchsten Steuer- und Abgaben“last“ Europas) hat 1 Abgeordneten auf 28.367 Einwohner – ein riesiges Parlament

Norwegen (169 Abgeordnete – auch ein Wohlfühlland) hat 1 Abgeordneten auf 31.361 Einwohner – im Vergleich zum BT also auch ein Riesenparlament

und selbst im zentralistischen Polen (460 Abgeordnete) kommen auf einen Abgeordneten nur 83.696 Einwohner.

Die wenigen Beispiele zeigen, daß unser Bundestag auch mit 709 Abgeordneten überhaupt nicht „groß“ ist. Die meisten Parlamente Europas haben zwar weniger Abgeordnete, sind aber gemessen an der Einwohnerzahl deutlich größer!
Wir sollten aufhören so tumb mit den Kosten zu argumentieren (das scheint der einzige Grund für den Wunsch nach Verkleinerung zu sein); eine ordentliche Demokratie darf auch etwas kosten. Die wenigsten Kosten für ein Parlament werden dort produziert, wo es keines gibt!

Je mehr Abgeordnete ich habe, desto mehr Ansprechpartner habe ich zur Auswahl. Man muß sie nur fordern, man muß in Kontakt treten…. Man muß anzeigen, daß man da ist und interessiert.  Wenn die Teilhabe mit dem Kreuz am Wahlsonntag auch schon wieder beendet ist, und man die Abgeordneten eine Legislatur lang nicht fordert/kontaktiert (Mail, Besuche im Wahlkreisbüro etc.) dann unterliegt früher oder später auch der ambitionierteste Abgeordnete dem Bezirze der Lobbyisten und hält das dann für die Wirklichkeit. Und… je kleiner das Parlament, desto einfacher die Lobbyarbeit.

Weniger Abgeordnete bedeutet auch, daß mehr Stimmen für einen Sitz nötig wären. (vorausgesetzt man überspringt die unsägliche 5%-Hürde). Ein kleinerer Bundestag würde im Effekt die größeren Parteien weiter stärken und die kleineren schwächen…

Das einzige Argument, welches unter den hier genannten Gesichtspunkten eine Verkleinerung des Bundestages sinnvoll erscheinen ließe, wäre eine Föderalismusreform, die Kompetenzen der Bundesebene neu regelt und je nach Praktikabilität auf die europäische bzw. auf die Landesebene verteilt – ergo, die Bedeutung des Bundestages müßte dafür sinken. Weniger Regelungskompetenzen bedeutet weniger Regelungsbedarf, dann arbeitet sich auch wieder ein wenig schneller …. „Langsamkeit“ ist ja auch ein Argument der Befürworter eines kleinen Bundestages, da ja „gut Ding“ wohl keine „Weile“ mehr haben darf.

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