Das Kreuz mit dem schönen Kreuz – Der Versuch eines anderen, eines Brandenburger Blickwinkels

Carl Hasenpflug – Potsdam, Garnisonkirche und Breite Brücke mit Blick auf das Stadtschloss, 1827

In schöner Regelmäßigkeit wird in Brandenburg über den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche berichtet und in den sozialen Netzwerken anschließend darüber diskutiert.

In den seltensten Fällen haben die Gegenargumente zum Wiederaufbau etwas mit der Finanzierung oder dem Grundverständnis einer lebens- und liebenswerten Landeshauptstadt zu tun. Nein, in der Regel sind es ideologische Begründungen, die – so sehe ich das – einer gründlichen Überprüfung allerdings kaum standhalten können, oder besser, nicht standhalten müssen (!) – Denn auch darum geht es: Bei solchen Diskussionen ist auch der Standpunkt und die eigene Grundeinstellung entscheidend. Wenn ich das ganze als „Deutscher“ diskutiere, egal, ob nun als Befürworter oder Gegner, führe ich eine komplett andere Diskussion als wenn ich die Angelegenheit als Brandenburger mit oder ohne Affinität zu Preußen betrachte.

Ich möchte die Garnisonkirche als Brandenburger diskutieren. Und natürlich ist Preußen auch ein Teil der Brandenburger Geschichte. So wie das HRR, das DR, die DDR oder die BRD auch ein Teil der Brandenburger Geschichte waren und sind 🙂 . Das Preußen Brandenburger Prägung sowie der gleichnamige Freistaat als Bollwerk der Demokratie sind bei mir positiv, das deutschnationale Preußen (das ist das, was zum Beispiel die Bayern nicht mögen) ist auch bei mir negativ besetzt.

Brandenburgisch, Preußisch oder Deutsch?

Als Brandenburger sollte man zuerst Wert auf folgende Feststellung legen:

Die Potsdamer Garnisonkirche ist kein deutsches Bauwerk, sie ist ein brandenburgisches, vielleicht auch noch ein preußisches Bauwerk. „Moment!“ möchte an dieser Stelle der eine oder andere ausrufen „Preußen ist doch seit 1701 Königreich und der Baubeginn liegt im Jahre 1730!“

Nun, die Daten mögen stimmen, aber auch hier spielt uns die rückwirkende Projektion bei der Betrachtung von Geschichte mal wieder einen kleinen Streich. Wir vergessen all zu schnell „in der Zeit“, um die es geht „zu denken“.

Friedrich Wilhelm I war 1730 der hiesige Regent und sein Titel war der folgende:
König in Preußen, Markgraf von Brandenburg, Erzkämmerer und Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches. Einen König in Preußen gab es 1730 also seit gerade mal 29 Jahren. Und Preußen war weit, weit weg…. Hier war Brandenburg!

Unter unserem Kurfürsten und Markgrafen Johann Sigismund (Regent von 1608-1619) kamen Teile Preußens, ein Gebiet, welches wir heute als Ostpreußen kennen, in den Herrschaftsbereich der Brandenburger Markgrafen und Kurfürsten.

Markgraf und Kurfürst Friedrich III  von Brandenburg (Regent von 1688-1713) schaffte es dann, sich zum König in Preußen zu krönen. Somit war er streng genommen Friedrich III als Markgraf und Kurfürst von Brandenburg sowie Friedrich I. als König in Preußen.

Flux wurden einige Institutionen von kurfürstlich-brandenburgisch in königlich-preußisch umbenannt, was mehr auf die Eitelkeit des Regenten als auf die realen Verhältnisse schließen läßt. Preußen lag außerhalb des Gebietes des Heiligen Römischen Reiches (HRR), weit, weit weg von Brandenburg, und nur außerhalb des HRR konnte ein Fürst des HRR auch König sein. Innerhalb des HRR sollte dem Grundsatz nach, neben dem Kaiser kein Fürst auch König sein. (Ähnlich verhielt sich das mit Sachsen und der polnisch-litauischen Krone)

Die Brandenburger und die Potsdamer selbst dürften sich noch eine ganze Weile nur als Brandenburger gesehen haben, erst allmählich setzte sich die Bezeichnung „Preußen“ auch für den Brandenburger Landesteil durch. In der seltenen Literatur zum (Rand)Thema beschreibt man diesen Vorgang als relativ langsam und man gibt an, daß er erst in der zweiten Hälfe des 18. Jahrhunderts als wirklich abgeschlossen betrachtet werden kann.

Man darf also feststellen, daß die Garnisonkirche definitiv ein Brandenburger Bauwerk ist und damals für einige Menschen vielleicht auch schon ein königlich-preußisches, ganz sicher war es aber kein deutsches. An ein geeintes Deutschland war damals noch nicht zu denken und es wollte auch kaum jemand daran denken.

Wenn die Garnisonkirche Potsdam also ein Sinnbild für den deutschen Nationalismus gewesen sein kann, so wurde sie mißbräuchlich dazu gemacht. Anstatt dies nun als Beweis für die Unmöglichkeit der Garnisonkirche heranzuziehen, sollten wir Brandenburger eher darüber empört sein, wie sich der braune Mob unseres Bauwerks bedienen konnte und man bis heute auf beiden Seiten nicht davor zurückschreckt über diese Kirche als deutsches Bauwerk zu diskutieren. Wir sollten ebenso unser Entsetzen darüber zum Ausdruck bringen, daß man  heute nicht nur auf der Rechten sondern offensichtlich auch in der Mitte und auf der Linken ganz selbstverständlich so tut, als hätten die Nazis und davor die Deutschnationalen mit ihren Behauptungen und mit ihrer Inszenierung recht. Die einen um es zu feiern, die anderen um es zu verdammen – beide streiten sich um des Kaisers neue Kleider, der ja bekannlich nackt war…

Auch sollten wir es als eine Frechheit ansehen, daß sich A.H. in einer Reihe mit Friedrich dem Großen zu stellen wagte, als seine Propagandamaschinerie ihn gemeinsam mit Bismarck respektive mit Bismarck und Hindenburg abbildete und somit die Fortsetzung einer gewissen Tradition behauptete. Bismarck und Hindenburg mögen – salopp formuliert – mehr deutsch als brandenburgisch-preußisch gewesen sein, Friedrich der Große war es mit Sicherheit nicht.
Die Nazis bedienten sich eines Brandenburger Bauwerks und eines Teils seiner Geschichte um eine unhaltbare Behauptung zu suggerieren und was machen die meisten Menschen heute? Sie nehmen diesen Humbug für bare Münze und werfen es dem Gebäude vor, irgendwie schräg – der zeitgenössische Begriff dafür lautet wohl „Fake news“…. Auf diesen „Fake news“ basiert eine ganze Diskussion…. Schade!

Militarismus? 

Dann gibt es ja noch jene, die dieser Kirche den preußischen Militarismus vorwerfen und sie als Sinnbild desselben sehen. Ich tue mich seit jeher schwer, zu begreifen, was das überhaupt sein soll, der preußische Militarismus. Für das Deutsche Kaiserreich würde ich einen deutschen Militarismus annehmen können, für die DDR einen „realsozialistischen“ auch, aber für Brandenburg oder Preußen?

Der Vorwurf des Militarismus´an Preußen ist eine recht junge Angelegenheit. Christopher Clark wertet den Vorwurf des Militarismus´an Preußen übrigens als therapeutisches Preußenbild.  Er verortet den wirksamen Ursprung des Vorwurfs in der Präambel des Kontrollratsbefehls(-gesetzes) Nr. 46 zur Auflösung des Freistaates Preußens aus dem Jahre 1947 und beschreibt ihn als liebgewonnene Sichtweise, die half, etwas unbeschwerter ein Nachkriegsdeutschland aufbauen zu können. „Es waren nicht WIR, es waren DIE. Und DIE gibt es nicht mehr“. Tatsächlich mag diese Sicht auch nicht unerheblich dazu beigetragen, daß der Beginn einer wirklichen Aufarbeitung der Nazizeit noch einige Jahre auf sich warten ließ.
Daß die Auflösung nur deshalb nötig wurde, um z.B. dem auf nun britischem Territorium bereits 1946 gegründeten Land Hannover eventuell nicht in die Quere zu kommen und um sämtliche vielleicht noch folgende Gebietsveränderungen nicht durch das etwaige Vorhandensein einer juristischen Körperschaft, die sich über alle vier Besatzungszonen und die zukünftig neuen Gebiete Polens und Russlands erstreckt, zu gefährden, spielte schon damals in der Öffentlichkeit keine Rolle.

Eines war Preußen irgendwann ganz sicher; es war militärisch. Seit man nicht mehr wahllos Leute in die Armee prügelte oder dorthin übervorteilte, seit man eine Art Wehrgerechtigkeit anstrebte, war das ganze Land in „Militärbezirke“ (Kantone) aufgeteilt – seit 1733, also 32 Jahre nach „Gründung“ Preußens.
Jeder Kanton hatte aus seinen Distrikten eine gewisse Anzahl Wehrpflichtiger/Kantonisten zu stellen. Die zwielichtigen „Anwerbungen“ mit Alkohol oder Knüppel, eigentlich Zwangsrekrutierungen, waren damit passé. Aus heutiger Sicht war auch das Kantonsystem keine demokratische Angelegenheit aber im Vergleich zum abgelösten Verfahren und im Kontext der Zeit immer noch ein Fortschritt.

Und weil es sich gerade anbot, wurden in vielen Fällen auf Basis dieser ursprünglich militärischen Struktur auch anderen administratorischen Einheiten organisiert. Das Kantonsystem, also die militärische Ordnung, wurde so zur Grundlage für eine zivile Verwaltungsstruktur. Einer Struktur, die klar geregelt war, mit eindeutigen Hierarchien und Rechenschaftspflichten. Das Beamtentum wurde quasi erfunden und selbstredend war es dem bis dahin fast ungestört agierendem Landadel ein Dorn im Auge. Nicht mehr sie verfügten über Wohl und Wehe, sondern ein Apparat, das machte Korruption und Bestechung schwieriger und so verwundert es nicht, daß man gerade außerhalb Brandenburg-Preußens Stimmung gegen dieses System machte, fürchtete der Adel dort doch, durch ähnliche Maßnahmen, ebenso eingeschränkt werden zu können. Interessanterweise ist von dieser betagten, fadenscheinigen Stimmungsmache beim deutschen Michel bis heute viel hängen geblieben.

In der Zeit, um die es hier geht, stritt eine Pentarchie um die Hegemonie in Europa.

Großbritannien, Frankreich, Rußland, Habsburg/Österreich(-Ungarn) und Preußen(-Brandenburg)

In Sachen Militär nahm sich von den fünf genannten wohl keiner etwas, wohl aber in der Zahl der militärischen Aktionen. Und anders als der oft nur dahingesagte aber selten überprüfte Volksglaube war Preußen eben in vergleichsweise wenigen Kriegen verwickelt und fing noch viel weniger Kriege an (siehe auch: hier). Alles belegbar, man muß es nur berücksichtigen wollen. Aber das würde bedeuten, einfache, liebgewonnene Stereotype hinter sich lassen zu müssen.

 

Was ist eine Garnisonkirche überhaupt?

Hier erinnere ich noch einmal an das vorhin schon erwähnte „in der Zeit“, um die es geht, „zu denken“. Und da sollte man zunächst feststellen, daß sich die Menschen damals und heute in einem für die Betrachtung relevanten Punkt ganz wesentlich unterscheiden. Man war in der Regel religiös!

Die zum Dienst eingezogenen jungen Männer wurden aus ihren Gemeinden genommen und brauchten am Standort ihrer Einheit, in ihrer Garnison nun eine neue Gemeinde.  Mir scheint, daß Menschen heute, die Religion ganz grundsätzlich ablehnen, nicht bereit sind, diesen Gedankengang anzustellen. „Ich glaube nicht, also hätten die es damals auch nicht gemußt.“
Und natürlich wird es im Gottesdienst einer Garnisonkirche auch zu Beeinflussung im Sinne der Garnison und der Befehlskette gekommen sein. Aber Hand aufs Herz, welches Unternehmen der Gegenwart unternimmt nicht den Versuch, mitunter recht aufwendig, die eigene Belegschaft auf das eigene Unternehmen einzuschwören?

Auch heute noch gibt es Standortkirchen und Standortpfarrer, nur daß sie heute eher Relikt als Ausdruck der Alltagswirklichkeit sind; damals war das eben noch anders. Die Kirche war ein Gotteshaus für die gläubigen Soldaten und es war eben üblich, in die vor Ort bestehenden Gemeinden keine Unruhe durch fremde Soldaten hinein zu bringen, sondern Standortkirchen zu unterhalten.

Auch bitte ich, nicht zu vergessen, daß es gar nicht so wenige Garnisonkirchen gab und die in Potsdam also, bis auf ihre ursprüngliche Schönheit und dem späteren Mißbrauch, nicht exklusiv ist.

 

Fazit

Also, auch als Brandenburger kann man natürlich sowohl pro als auch contra Wiederaufbau sein, aber dann doch eher aus Gründen, die vielleicht im Bereich der Finanzierung zu suchen sind oder weil man der Auffassung ist, daß sich die Landeshauptstadt in eine andere Richtung entwickeln sollte.

Einer Brandenburger/preußischen Kirche gesamtdeutsches Versagen vorzuwerfen ist nicht redlich. Es gibt genügend Garnisonkirchen, die erst im Kaiserreich oder noch später – jedenfalls zu einer Zeit als Nationalismus bereits salonfähig war gebaut und geweiht wurden. Auf die Potsdamer Garnisonkirche trifft das aber nicht zu. An Deutschland als Gesamtstaat war bei Bau und Weihe noch nicht zu denken. Also ist es schon schräg in der Diskussion so zu tun, als ob das nicht der Fall wäre.

Ist man Befürworter des Wiederaufbaus, sollte man aus oben genannten Gründen allerdings auch auf den originalgetreuen Wiederaufbau bestehen. Dieser würde nicht verhindern, an die Geschichte, die dieses Haus mitmachte zu erinnern, den Mißbrauch zu thematisieren und somit vor den Folgen national(istisch)en Wahns zu warnen.

Schlußendlich wäre mir nur wichtig zu verdeutlichen, daß das, was die Nazis mit dem Tag von Potsdam behaupteten nicht taugt um irgendwas zu untersetzen. 1933 nicht die Machtübernahme und alles was folgte und heute nicht den Widerstand gegen den Wiederaufbau; daß der Vorwurf des Militarismus entweder ins Leere liefe oder aber im europäischen Vergleich seine Exklusivität verlöre (ist halt eine Definitionsfrage)

Ansonsten kann natürlich jeder aus verschiedenen Gründen für oder gegen den Wiederaufbau sein, in meinen Augen nur nicht wegen Gegenargumenten die unter den oben genannten Überschriften allzu unüberlegt aufgelistet werden.

Dieser Beitrag wurde unter Brandenburg, Demokratieverständnis/ Gesellschaft, Geschichte, Kultur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.