„Biodeutsch“ ist wie „Mitgliederinnen“, nur von der anderen Seite….

Egal wie man es dreht, jede Großnation; also nicht nur Deutschland, sondern eben auch Italien, Frankreich, Spanien, Polen etc. pp (also alles auf Ebene NUTS-0) ist hauptsächlich eine Idee, bei den einen etwas jünger, bei den anderen etwas älter, aber doch nur ein gedankliches Konstrukt. Einzige Gemeinsamkeit ist i.d.R. die Verkehrssprache, alles andere sind mehr oder weniger künstliche Etikette, die man sich anheftet, aber wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben. Da es wenig „natürliche“ Gemeinsamkeiten gibt, behilft man sich mit Dingen wie typischen Tugenden oder Leitbildern und fertig ist das Gebräu für eine Stimmung à la 1871 oder 1933 usw. usf.
 
In Spanien sind mir 6 Regionen bekannt, in denen Gruppierungen für mehr Eigenständigkeit bis hin zur Unabhängigkeit wirken (Baskenland, Galicien, Katalonien, Aragon, Balearen, Valencia). In Großbritannien vier (Schottland, Wales, Cornwall, Yorkshire) in Italien 5 (Sardinien, Aostatal, Venetien, Lombardei und als Sonderfall Süd-Tirol), in Frankreich mindestens 6 (Bretagne, Katalonien, Okzitanien (das ist der komplette Südküstenstreifen), Korsika, Savoyen, Elsaß.) In Polen gibt es die Kaschuben und Schlesier…. Nur in Deutschland, eigentlich ein Sinnbild des Föderalismus und der Subsidiarität gibt es bis auf die wackeren Bayern und einige Südschleswiger kaum Menschen die ein Auge auf ihre regionale Identität werfen. Hier wird über die Salonfähigkeit eines Begriffs wie „biodeutsch“ nachgedacht und auch die Gegner eines solchen Begriffs hatten letzte Woche nichts besseres zu tun als mit der Zustimmung zu diversen Grundgesetzänderungen sich als Totengräber des Föderalismus zu betätigen, den Zentralismus zu feiern und somit der Salonfähigkeit dieses Unwortes eine weitere gedeihliche Grundlage zu bereiten.
 
Brandenburg ist von Alters her (wir feiern am 11. Juni übrigens unsern 860. Geburtstag) ein Schmelztiegel aus Untertanen aller Herren Länder. Man orientierte sich nicht an der Herkunft sondern an dem Willen hier etwas aufzubauen und den Werten, die das Miteinander regelten.
 
Wir sind eine Mischung aus den Slawen, die hier lebten und den Siedlern die hierher kamen. „Ick, det, kiek, koof, ooch“ kommen nicht von ungefähr; zu den ersten Siedlern gehörten Flamen und Holländer, man sprach in weiten Teilen Brandenburgs seine gewohnte Mundart oder gar Sprache weiter. Noch im 1. Weltkrieg sollen sich Soldaten aus dem Fläming und dem Teltow noch recht gut mit den Einheimischen in Flandern unterhalten haben können, hier sprach man Fläminger- und Telsch-Platt, etwas was heute kaum noch einer spricht. Der Grund ist der Vorläufer der Idee des „Biodeutschen“ die Reichseinigung 1871 und da es an tatsächlich einigenden Kriterien mangelte brach sich das bis dahin nur in bestimmten Kreisen gesprochene Hochdeutsch die Bahn und alles andere galt als verpönt. Na und dann kamen die vermeintlich deutschen Tugenden dazu. Einige meinen, es seien preußische Tugenden, aber es sind Tugenden des Preußens deutschnationaler Prägung, vom Preußen Brandenburger Prägung, war da nicht mehr viel übrig.
 
Der Verlauf der Geschichte dieser Nationalisierung ist bekannt. Brauch ich nicht noch einmal.
 
„Biodeutsch“ ist der hilflose Versuch einer Abgrenzung. Aber „deutsch“ ist die falsche Ebene. Kann ein Einwanderer, von wo auch immer, „Deutscher“ werden (und die Staatsbürgerschaft ist hier nicht gemeint)? Nein, kann er eigentlich nicht! Warum? Nun, ich meine, daß das, was landläufig seit dem 19. Jh. bis heute als „deutsch“ angesehen wird, das schon verbietet. Diese Vorstellung, die die Rechte feiert und die die Linke verdammt, aber beide für Ihr Feiern und Verdammen als richtig erachten müssen, ist eben nicht richtig, sondern ein gekünsteltes Konstrukt und daher nicht zu gebrauchen.
 
Kann ein Einwanderer, von wo auch immer, Brandenburger werden? Ja, selbstverständlich!
Kleiner Ausflug in die Geschichte: Der polnische Graf und preußische Diplomat Atanazy Raczyński äußerte sich seinerzeit zur Reichseinigung von 1871 aus Sicht der Polen wie folgt: „Preußen haben wir werden können. Deutsche? Niemals!“ Vergleichbar, wie ich finde!
 
Und das ist auch schon des Rätsels Lösung! Wir sollten uns dem Wunsch nach Identität, die man auch pflegen darf und soll, nicht verwehren; aber wir sollten eine greifbare, überschaubare, eine heimatnahe Ebene für den Ankerpunkt unserer Identität auswählen – unsere Region. Dann klappt es auch mit den gelebten Werten, die auf andere attraktiv wirken können und dann klappt es auch besser mit den Neu-Brandenburgern, egal von wo sie kommen.
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