Wahlrechtsreform, die X-te

In letzter Zeit wird mit zunehmender Frequenz eine Reform des Wahlrechts zur Wahl des Budestages diskutiert, weil dieser angeblich zu groß sei. Bereits 2017 widersprach ich diesem Ansinnen mit einem kleinen Vergleich innerhalb Europas und bezog mich dabei auf das Verhältnis zwischen Abgeordnete und Wahlberechtigte/Bevölkerungszahl.

Die erhöhte Taktzahl, in der das Thema auf der Agenda mittlerweile erscheint, läßt aber vermuten, daß ein Verkleinerung des Bundestages wohl unausweichlich erscheint. Jüngster Vorstoß stammt vom Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU im Deutschen Bundestag, Ralph Brinkhaus. Dieser möchte den Bundestag auf 750 Sitze Maximum begrenzen und dafür gegebenenfalls Direkt- und Überhangmandate einfach streichen. Ein denkbar schlechtes Modell. Für Direktmandate hat zu gelten „gewählt ist gewählt“.

Abgesehen davon also, daß der Bundestag im Verhältnis zu Bevölkerung und Wahlberechtigten zu den kleinsten Parlamenten Europas gehört und unser derzeitiges Wahlsystem eigentlich recht ausgeklügelt und gut ist, möchte man aber wohl partout nicht von einer Verkleinerung ablassen. Sei es aus populistischen Gründen oder tatsächlich aufgrund der Aufgabenfülle aus Effizienzbestrebungen. Dann wäre es aber statt der Streichung von Direkt- und Überhangmandaten vielleicht sinnvoll, gedanklich etwas anders an die Sache heranzugehen.

Vom Grundsatz „gewählt ist gewählt“ sollte man bei den Direktmandaten nicht abweichen. Aber was spricht dagegen, den Bundestag in Sachen Mandatszuordnung etwas härter zweizuteilen? 299 Mandate werden – nach wie vor – mit den Direktkandidaten besetzt und 299 über Liste. Die harte Trennung besteht darin, daß das Zweitstimmenergebnis nur auf die Verteilung innerhalb der 299 „Listenplätze“ Anwendung findet. Einer Föderation stünde ein solches System auch nicht schlecht zu Gesicht und so würde die Mandatszahl von 598 Sitzen nie überschritten werden. Die Erststimme wäre „Regionalstimme“ die Zweitstimme „Bundestimme“. Überlegenswert wäre dann noch, ob man – wenn man über die Legislaturperiode gesehen schon spart und vorgeblich effizienter wäre – sich nicht die Zeit nehmen sollte, die Direktmandate im Zweifel über eine Stichwahl mit einer absoluten Mehrheit versehen, in den Bundestag einziehen zu lassen. Für die „Listenmandate“ könnte man sich entscheiden, ob diese tatsächlich über eine einheitliche Bundesliste vergeben werden sollen oder über Landeslisten und ob jedes Bundesland von vorn herein einen festgelegten Anteil an Listenplätzen im Bundestag erhalten sollte und ob die Sitze pro Bundesland nur anhand der Wahlergebnisse im Bundesland oder des Gesamtergebnisses im Bund vergeben werden sollten; je nach dem, ob man die Bundesebene und mit ihr die Bundesparteien oder die Landesebenen und mit ihr die Landesparteien gestärkt sehen möchte. Wie auch immer; eine strikte Zweiteilung der Mandatsvergabe in 299 Direktmandate (Mehrheitswahlrecht) und 299 Listenmandate (Verhältniswahlrecht) fände ich in jedem Falle gerechter als die Streichung von Direktmandaten. Wir würden uns daran gewöhnen, daß das Zweitstimmenergebnis nicht die Zusammensetzung des gesamtem Bundestages widerspiegelt, sondern nur eines Teils. Das funktioniert auch in anderen Demokratien ganz gut und einige kommen sogar ganz ohne Verhältniswahl aus.

Ab hier wird´s ein wenig trockener und unnötig ausufernd:

Der Bundestag in den unterschiedlichen Varianten und mit Blick auf die Länder:

Zweitstimmenergebnis der Bundestagswahl 2017:

CDU26,8%
CSU6,2%
CDU/CSU32,9%
SPD20,5%
AfD12,6%
FDP10.7%
Die Linke9,2%
B´90/Grüne8,9%

aktuelles Wahlsystem:
(299 Direktmandate aus den Wahlkreisen, Gesamtsitzverteilung auf Basis der Zweitstimmen, daher Überhang- und ergo Ausgleichsmandate, mit 5%-Hürde)

CDU/CSU246 Mandate
SPD153 Mandate
AfD94 Mandat
FDP80 Mandate
Die Linke69 Mandate
B´90/Grüne67 Mandate
gesamt709 Mandate

Gesamt 709 Sitze

Da wir eine 5%-Hürde haben, verändern sich die Stimmanteile zu den Sitzanteilen wie folgt:

CDU 26,8% der Stimmen zu 28,2% der Sitze
CSU 6,2% der Stimmen zu 6,48% der Sitze
SPD 20,5% der Stimmen zu 21,59% der Sitze
AfD, 12,6% der Stimmen zu 13,26% der Sitze
FDP 10,7% der Stimmen zu 11,28% der Sitze
Die Linke 9,2% der Stimmen zu 9,73% der Sitze
B´90/Grüne 8,9% der Stimmen zu 9,45% der Sitze

Dies nur aufgeführt um anzudeuten, daß aufgrund der 5%-Hürde genau genommen schon jetzt die Sitzverteilung das Zweitstimmenverhältnis nicht wiedergibt.

Sitzverteilung zu Beginn der Legislaturperiode (Spätere Verschiebungen ergaben sich z.B. aus der Übernahme von Ministerämtern auf Landes- oder Europaebene, nichtangenommenen Mandaten oder Sterbefällen etc.)

Von den 246 CDU/CSU-Mandaten entfielen 231 Sitze auf Direktmandate. 15 Sitze kamen über die Landeslisten hinzu.

Von den 153 Mandate der SPD entfielen 59 Sitze auf Direktmandate, 94 kamen über die Landeslisten

Von den 94 Mandaten der AfD entfielen 3 Sitze auf Direktmandate, 91 über Landeslisten

Bei der FDP entstammen alle 80 Sitze den Landeslisten

Die Linke errang 5 Direktmndate und 64 Sitze über die Landeslisten, 69 gesamt

B´90/Grüne haben 1 Sitz über Direktmandat und 66 Sitze über Landeslisten, zusammen 67

Hier mal die rechnerische Verteilung nur aufgrund von Zweitstimmen bei 598 Sitzen ohne Überhang und Ausgleichsmandate:

CDU/CSU207
SPD129
AfD80
FDP68
Die Linke58
B´90/Grüne56

Und hier die Sitzkontingente gesamt nach Ländern (ergo mit Überhang und Ausgleichsmandaten); zum Zeitpunkt der Wah (ergo ohne Nachrücke von Listenplätzen für Direktmandatler oder Berücksichtigung von Fraktionsaustritten)

Wahl-kreiseDirektmandateListen-mandate
LandCDU/CSUSPDAfDFDPLinkeGrüneCDU/CSUSPDAfDFDPLinkeGrünegesamt
Baden-Württemberg38385916111261496
Bayern464662181412711108
Berlin1243411622432328
Brandenburg1091153524125
Bremen22411116
Hamburg615103122216
Hessen22175287664550
Mecklenburg-Vorpommern66102313116
Niedersachsen3016143656775666
Nordrhein-Westfalen6438267841515201212142
Rheinland-Pfalz15141228443337
Saarland43162111110
Sachsen161231224835238
Sachsen-Anhalt99143424123
Schleswig-Holstein11101155232326
Thüringen88143523122
gesamt299231593051410159491806466709

Alternative 1
(299 Sitze über Direktmandate, 299 Sitze über Landeslisten gemäß Zweitstimmen im Bund, mit 5%-Hürde) Die Gesamtzahl der Abgeordneten pro Bundesland ergibt sich aus dem jeweiligen Anteil der Wahlberechtigten

299 – Direktmandate:

CDU/CSU231
SPD59
AfD3
FDP
Die Linke5
B´90/Grüne1

299 – Listenmandate:

CDU/CSU103
SPD65
AfD40
FDP34
Die Linke29
B´90/Grüne28

Ergibt für die CDU/CSU insgesamt 334 Sitze und somit eine absolute Mehrheit. Mit einem anderen Wahlsystem würden man aber bestimmt auch anders wählen. Erst recht, wenn die Direktmandate über eine Stichwahl entschieden werden würden.

CDU/CSU334
SPD124
AfD43
FDP34
Linke34
Grüne29

Auf den ersten, gewohnten Blick mag es verstörend wirken, daß eine Parteienverbindung die gemäß des Zweitstimmenanteils auf Bundesebene eigentlich nur auf 207 Sitze kommen dürfte nun auf 331 Sitze kommt, mehr als im 709 Mandate starken Bundestag aktuell. Auf den zweiten Blick kann man aber ganz entspannt feststellen, daß schon heute die CDU/CSU mehr Wahlkreise gewinnt, als es das Zweitstimmenergebnis vermuten lassen würde (daher ja die Ausgleichsmandate). Der Grund mag auch darin liegen, daß für ein Direktmandat die einfache Mehrheit ausreicht und nicht die absolute Mehrheit, die im Zweifel bei einer Stichwahl gewonnen werden muß.

Alternative 2
(299 Sitze über die Direktmandate, 299 Sitze über Landeslisten, wobei die jeweiligen Landeslistenplätze nach dem Zweitstimmenergebnis des jeweiligen Landes belegt werden würden und nicht nach dem bundesweiten Zweitstimmenergebnis.)

Listen-mandate
LandCDU/CSUSPDAfDFDPLinkeGrünegesamt inkl. Direktmandate
Baden-Württemberg37146552575
Bayern46198653592
Berlin1232212224
Brandenburg103221220
Bremen31115
Hamburg72211113
Hessen2175322243
Mecklenburg-Vorpommern73111113
Niedersachsen29108332359
Nordrhein-Westfalen6422176955128
Rheinland-Pfalz1554221130
Saarland31117
Sachsen165251332
Sachsen-Anhalt93121218
Schleswig-Holstein1143111122
Thüringen93121217
gesamt2991056440343125598

Demnach sähe der gesamte Bundestag wie folgt aus:

Direktmandat(e)Listenplätz(e)gesamt
CDU/CSU231105336
SPD5964123
AfD34043
FDP3434
Die Linke53136
B´90/Grüne12526

Alternative 2, Variante 2
Die Gesamtplätze der Länder werden an die Wahlbeteiligung gekoppelt und ergeben sich aus den tatsächlich abgegebenen gültigen Stimmen in den Ländern

Ohne die Mandate pro Fraktion auszurechnen, hier nur die Gesamtsitze aus den einzelnen Ländern auf Grundlage der gültigen Stimmen 2017.

Landgesamtdirektergo Liste
Baden-Württemberg773839
Bayern954649
Berlin241212
Brandenburg19109
Bremen422
Hamburg1367
Hessen432221
Mecklenburg-Vorpommern1266
Niedersachsen603030
Nordrhein-Westfalen1276463
Rheinland-Pfalz301515
Saarland743
Sachsen321616
Sachsen-Anhalt1697
Schleswig-Holstein221111
Thüringen1789
gesamt598299299

Unterm Strich scheint aber alles nicht so ausgeklügelt wie das derzeitige System. Auf der anderen Seite soll und darf bei den Direktmandaten vom Grundsatz „gewählt ist gewählt“ nicht abgewichen werden. Eine Streichung von Direktmandaten dürfte eigentlich nicht einmal eine Überlegung wert sein. Bliebe letztendlich also nur, die Zweitstimmen für die Landeslisten tatsächlich auch nur auf die Landeslistenplätze anzuwenden und nicht auf die Gesamtzahl der zu vergebenden Sitze. Hilfreich wäre dann womöglich auch, die Direktmandate mit einer absoluten Mehrheit, also i.d.R. nach eine Stichwahl ins Parlament zu schicken… aber wie gesagt; für unsere Belange und für unsere verfassungsgemäße Ordnung und Kompetenzverteilung haben wir wohl bereits das bestmögliche Wahlsystem, also sollten wir aufhören daran rumdoktern zu wollen; manchmal ist das schon bestehende System tatsächlich richtig gut. Da sollte man keinen Populismus aus der Mitte betreiben, um die Ränder zu besänftigen; funktioniert sowieso nicht…

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